Projekt im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 2130 "Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit": "Kartographie als Übersetzung. Kartenproduktionen französischer 'Lehnstuhlgeographen' des 18. Jahrhunderts"
Viele namhafte französischen Geographen des 18. Jahrhunderts werden als géographes de cabinet (deutsch: ‚Lehnstuhlgeographen‘) bezeichnet. Ihnen war gemeinsam, dass sie ihre Karten auf der Grundlage umfangreicher Quellensammlungen anfertigten, statt die zu kartierenden Länder zu bereisen und zu vermessen. Die Arbeit der Geographen bestand zunächst im Sammeln von Informationen und Dokumenten verschiedener Art, darunter Karten, Reiseberichte, Geschichtswerke, Briefe und mündliche Aussagen von Reisenden, zu denen sie in persönlichem Kontakt standen. In einem weiteren Schritt werteten sie die gesammelten Quellen kritisch aus, indem sie diese verglichen, gegeneinander lasen und kombinierten. Die Geographen verwendeten Material in unterschiedlichen Sprachen, was eine Übersetzung von Quellentexten, Namen und Begriffe ins Französische erforderte. Übersetzungsprozesse, so unsere These, spielten aber auch noch auf anderen Ebenen eine zentrale Rolle: Erstens waren intermediale Übersetzungen vonnöten, denn das verfügbare Wissen stammte aus unterschiedlichen Medien, die zunächst in eine gemeinsame ‚kartographische Sprache‘ übertragen werden mussten. Unser Fokus liegt dabei auf den Praktiken, die die Geographen anwandten, um Texte, also sprachlichen Narrative, in Karten zu übersetzten. Zweitens mussten Daten aus unterschiedlichen zeitlichen Epochen miteinander in Einklang gebracht werden, wobei ältere Darstellungen von antiken und mittelalterlichen Autoritäten neueren Kenntnissen entsprechend übersetzt wurden. In besonderem Maße betraf dies den afrikanischen Kontinent, zu dem in Europa verhältnismäßig wenige Reiseberichte vorlagen. Drittens war es notwendig, Wissen, das aus spezifischen lokalen Kontexten stammte, beispielsweise aus der Mission, den Interessen und Ansprüchen der französischen Geographen und ihrer Auftraggeber anzupassen. Hierbei war insbesondere die Übersetzung indigenen Wissens eine Herausforderung für die Geographen.
Im Rahmen des Projekts werden kartographische Übersetzungsprozesse anhand der Arbeiten des königlichen Geographen Guillaume Delisle (1675–1726) untersucht. Hierzu werden die reichhaltigen Delisle-Bestände der Archives nationales und der Bibliothèque nationale de France in Paris ausgewertet, die eine Fülle an Kartenskizzen und Notizen enthalten und den Produktionsprozess auf eindrucksvolle Weise widerspiegeln. Vorrangiges Ziel ist es, mit dem Schwerpunkt auf Übersetzungsprozessen in der Kartographie die Komplexität der in den Kartenproduktionen angewandten Kulturtechniken aufzuzeigen. Indem wir die Kartenproduktion auch vor dem Hintergrund politischer Interessen des französischen Hofes betrachten, zeigen wir darüber hinaus die Rolle kartographischer Übersetzungsprozesse bei der Implementierung von informationsbasierter Herrschaft auf.
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