Rollen und Funktionen von Musik in der digitalen Ära (2) - Blog zur Tagung

Eine Internationale Wissenschaftliche Tagung an der Universität Koblenz in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig und der Gesellschaft für Musikforschung.

Hallo Liebe Leser*innen,

in unserem ersten Blog haben wir über die verschiedenen Panels gesprochen und unsere
Erwartungen an die einzelnen Themen offengelegt. Nun möchten wir schauen, welche
unserer Erwartungen erfüllt wurden und welche nicht.

Dies war unsere erste Tagung, somit mussten wir uns auch erstmal an die neuen Umstände
gewöhnen. Die anfängliche Aufregung verschwand schnell bei Beginn der Tagung und wurde
durch unsere Neugierde ersetzt. Die Stimmung war weniger formal, sondern wirkte schon
fast familiär, da man schnell merkte, dass jeder mit Freude und Gelassenheit dabei war.
Eröffnet wurde die Tagung vom Dekan unseres Fachbereichs, Wolf-Andreas Liebert und
dann von den Organisator*innen Corinna Herr und Wolfgang Fuhrmann. Danach startete die
Tagung direkt mit dem ersten Vortrag.

Keynote:

Die erste Keynote wurde von Julia Haferkorn gehalten. Livestreaming Konzerte sind
akzeptabel für die Livemusik, können sie aber nicht zu 100% ersetzen, weil der emotionale
Aspekt auch eine große Rolle spielt. Für uns macht es schon einen großen Unterschied, ob
wir ein Konzert Live und physisch miterleben oder ob wir zuhause vor dem Fernseher oder
dem PC sitzen. Eine Alternative ist es jedoch schon, da sich eben eine neue Möglichkeit
bietet, Konzerte von zuhause aus zu verfolgen. Wir selbst erleben Konzerte lieber physisch
als vor dem Bildschirm zuhause. Jedoch bietet sich hier die Möglichkeit für Menschen, denen
es nicht möglich ist, den Veranstaltungen Live beizuwohnen, wie zum Beispiel ältere oder
Menschen mit Behinderungen. Die Zuhörer beim Livestreaming sind auch bereit für diese
Dienstleistung zu bezahlen, aber die Musiker*innen sind relativ unzufrieden mit der
Bezahlung, unter anderem weil auch mehrere vor einem Bildschirm sitzen können und nur
ein „Ticket“ benötigen. Hierüber hat Julia Haferkorn in Großbritannien eine Studie gemacht.
Sie denkt auch über Möglichkeiten nach, wie Musiker*innen beim Livestreaming mehr
verdienen können.

Kommunikationswege:

Auch in diesem Themenbereich wurden wir mit unseren Erwartungen nicht enttäuscht. Der
Vortrag von Natalia Nowak, Melissa-Lili Arendt und Luisa Jedwillat spiegelte den
Themenbereich verständlich und sehr gut wieder. Der Vortrag war sehr dynamisch gestaltet,
da sich die Referent*innen gegenseitig Fragen zu ihren Themen stellten. Virtuelle
Sänger*innen die durch Musikprogramme entstanden sind ebnen den Weg für neue
Möglichkeiten, die mit neuen Technologien möglich sind. Bands und Musikprojekte
benötigen nicht mehr konventionelle Musiker*innen, sondern können alleine durch
Produzent*innen und Programme entstehen. Auch in der Videospiele Welt macht sich die
Verbreitung bemerkbar. „Karmaflow – The Rock Opera Videogame“ ist eines dieser neuen
Möglichkeiten Musik zu verbreiten. Die Story des „Jump and Run“ Games wird nicht mit
normalen gesprochenen Dialogen dargestellt, sondern durch eine „Rock Oper“ gesungen.

Auch durch digitale Konzerte ist es möglich, Musik von zuhause mitzuerleben. Es ist nicht
mehr nötig die Konzerte physisch zu besuchen, sondern man kann bequem von zuhause aus
die Möglichkeit wahrnehmen und sich in seinen eigenen vier Wänden der Musik widmen, sei
es durch einen Livestream oder durch ein Videospiel.

Vermittlung:

In diesem Panel hielten Anna Philips und Hendrikje Mautner-Obst Vorträge. Überleitend von
den Kommunikationswegen, bietet die Vermittlung der Musik in der digitalen Ära bereits
bestehende Möglichkeiten. Onlineplattformen wie YouTube, Facebook, Instagram und
Twitch bieten Livestreaming an. Dies kann sowohl für Blogger und Influencer als auch für
Musiker verwendet werden. Twitch wird von vielen Musiker*innen als Vermittlung benutzt,
um auch von zuhause aus Konzerten, Festivals, Opern sowie jede andere Form der Musik
Live zu verbreiten. Der Vorteil darin besteht, dass jeder, von egal wo, an einer Veranstaltung
teilnehmen kann und keine größeren physischen Reisen auf sich nehmen muss. Der Nachteil
daran ist, dass die körperliche Nähe und die Interaktion mit den Musiker*innen nicht mehr
vorhanden ist, da man selber nicht physisch anwesend ist und die Musiker*innen, die ein
Konzert geben die Zuschauer nicht mehr sehen.

So interessant die meisten Vorträge auch waren, war unsere Konzentration am Ende jedes
Tages sehr erschöpft. Nicht nur die teilweise hoch anspruchsvollen Vorträge trugen dazu bei,
sondern auch der Versuch im Zeitplan zu bleiben, der nicht immer glückte. Umso glücklicher
waren wir am Ende jeden Tages über die bereitgestellte Verpflegung in Form von Getränken
und Fingerfood. Hier sind auch die ein oder anderen Diskussionen über die vergangenen
Vorträge der jeweiligen Tage entstanden.

Lebenspraxen:

In diesem Panel gab es Vorträge von Robert Abels, Nicolo Palazzetti, Sean Prieske und Lena
Drazic. Zur Einleitung des wurde gleich über ein Thema gesprochen, welches im Verlaufe der
Tagung immer wieder aufkommen sollte, nämlich die Verwendung von
Kommentarbereichen als Forschungsgegenstand. Dies bedeutet, dass Kommentare gruppiert
werden nach ihren Inhaltlichen Aussagen und den Funktionen, die sie erfüllen.
Ein weiteres Thema, welches immer wieder angesprochen wurde, war die Formung von
Digitalen Räumen auf unterschiedlichen Social-Media Plattformen zur Interaktion für Fans
oder Künstler*innen. So zum Beispiel im Falle von Opernfangemeinschaften, deren
Interaktion auch zu einem großen Teil online stattfindet. Hierbei werden sich auch solche
Internetphänomene wie Memes und weiteres zu Nutze gemacht, um sein Fansein
auszuleben. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass es sich nicht um ein eigenes von der
analogen Fangemeinde getrenntes Phänomen handelt, sondern als eine Erweiterung
ebendieser gesehen werden kann.
Dies Form der Erweiterung bereits bestehender Räume in den digitalen ist auch bei der
Fangemeinschaft des Turbo Folks zu sehen. Diese Musikrichtung erfreut sich in der Wiener
Clubscene schon lange großer Beliebtheit, insbesondere bei Personen mit ex-jugoslawischer
Migrationsgeschichte. Durch die Coronarestriktionen erweitert sich diese Fangemeinde
ebenfalls in Form von Foren oder digitalen Auftritten in den digitalen Raum. Hierbei dient
der Austausch über Turbo Folk als Mittel zur Sozialisierung sowohl digital als auch analog.
Wir sprachen im ersten Blog davon, dass sich neue noch nicht dagewesene Lebenspraxen
durch die Digitalisierung bilden. Nun können wir aber sagen, dass im Großteil der Fälle die
neuen Lebenspraxen aus bereits bestehend Funktionen hervorgehen und sich an die digitale
Welt anpassen.

Dies alles waren Themen, die wir so auch unter dem Punkt Lebenspraxen erwartet hätten.
Eine für uns neue und spannende Perspektive wurde uns dann aber durch den Vortrag von
Sean Priske eröffnet. Geflüchtete verlieren ihren alten und Stationären Musikpraxen zum
Musikhören wie das Auto oder das Radio zu Hause. Das Handy wird zum wichtigsten
Instrument da es immer und überall benutzt werden kann. Hierdurch ändert sich auch der
Bezug zum Musikhören: Kopfhörer, YouTube und ein Intimeres Musikerlebnis wird
entwickelt. Auch die Variation an Künstlern ändert sich durch den internationalen
Austausch.

Technische Aktant*innen:

Die Vorträge von Andreas Möllenkamp, Pia Wolff, Carsten Wernicke und Valentin Ris füllten
dieses Panel aus. Dieser Themenbereich deckte sich mit unseren Vorstellungen und
Erwartungen. Heutzutage ist es jedem möglich, von zuhause aus, eigene Musik zu
produzieren. Anhand von den Vorträgen zu diesem Thema wurde dies nochmal sehr
deutlich. Diverse Programme machen dies für jeden möglich. Deutlich wurde dies am
Beispiel der sogenannten „Bedroom Culture“ und dem „Bedroom Pop“. Hier können
jugendliche Mädchen von ihrem Schlafzimmer aus, welches als sicherer Rückzugsort steht,
eigene Musik produzieren und veröffentlichen. Diese unlimitierten Möglichkeiten bieten sich
jedem an, der vorher durch die konventionelle Musikproduktion nicht die Möglichkeit hatte,
eigene Musik entstehen zu lassen. Jedoch muss man sich auch hier mit den Gefahren dieser
neuen Praxis auseinandersetzen, da die Popularisierung eines jeden neuen Mediums auch
eine Kehrseite hat, die kritisch zu betrachten ist. Diese kritische Betrachtung hat uns im
Vortrag von Frau Pia Wolff ein wenig gefehlt. Zudem muss man aber auch sagen, dass die
Nutzung von einigen Programmen eine gewisse Erfahrung benötigt und nicht so leicht zu
bedienen sind. Es war auch schwer für uns die anderen Vorträge im Bezug auf die digitalen
Programme zu verstehen, da uns das technische Know-how fehlte.

Aufführungspraxen:

Dieses Panel wurde durch die Vorträge von Ulrike Heydt, Charles Wiffen, Veronika Keller und
Julia Freund vertreten. Auch hier lagen wir mit unseren Erwartungen richtig. Insbesondere
durch die Lockdowns und das damit einhergehende Verbot von Konzerten, gewinnen
Onlineplattformen immer mehr Attraktivität als alternative Bühne für Künstler und
Zuschauer. Zwar können die Künstler nur digital erlebt werden die Bindung zu den
Zuschauern wirkt für uns stärker. Künstler zeigen sich im Livestream in ihren eigenen vier
Wänden und geben Einblicke in ihren Alltag. Die dadurch entstehende Abwesenheit von
großen Produktionen lassen den Künstler näher wirken. Hinzu kommt noch die direkte
Interaktion mit dem Chat, wodurch der Fan von einem reinen Konsumenten auch ein aktiver
Teilnehmer wird.

Die neuen Möglichkeiten Musik online zu präsentieren, ermöglicht auch Leien einen
einfacheren Zugang zu Musik zum Beispiel mit Humor. Dies bedeutet nicht, dass alle
Ernsthaftigkeit abgelegt werden muss es kann auch beides gleichzeitig Funktionieren. Ein
Beispiel hierfür ist der Youtube Channel „TwoSet Violin“, der mit seinem Sketch sowohl
erfahrene Musiker als auch Laien begeistern kann. In humoristischen Sketchen und Parodien
wird sich über alle Facetten eines Berufsmusiker lustig gemacht. Hierbei ist das Violinspiel
der beiden Akteure immer sehr ernst und professionell aber durch die humorvolle
Verpackung wird der Inhalt einer neuen jungen Generation nahegelegt. Ein weiter
Möglichkeit ist es Musikstücke mithilfe von Animationen zu veranschaulichen. Mit einer
animierten graphischen Partitur lassen sich sowohl Noten als auch Spielweise in ein buntes
futuristisches Design transferieren. Das futuristische Design welches an Videospiele wie
„Guitar Hero“ erinnert bietet für die jüngere Generation auch gleich ein bekanntes Umfeld,
in dem sie sich mit den klassischen Musikstücken auseinandersetzen können. Die Musik wird
visuell greifbar gemacht.

Märkte:

Wie bereits von uns erwartet war der digitale Markt und die Musik als Massenprodukt auch
Thema auf der Tagung. So auch die Vorträge von Moritz Gottschalk und Rüdiger Weißbach.
Durch die 30 Sekunden Grenze, die wir bereits im ersten Blog angesprochen haben,
verändern sich Produktion, Rezeption und Distribution der Musik. Gleichzeitig wird dadurch,
dass jeder Stream über 30 Sekunden mit 0,3 bis 1 Cent vergütet wird, jedem Musikstück von
Seiten des Streaminganbieters bereits ein klar definierter Wert zugeteilt. Mehrer Künstler
haben sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und dieses 30 Sekunden Konzept in
ihre Werke eingebaut.
So zum Beispiel die Band Vulfpeck mit ihrem Album Sleepify. Ein stilles Album mit nur 31
Sekunden langen Liedern, welches von den Fans wiederholt gehört werden sollte, um eine
Tour zu Finanzieren. Oder das Album Crisis von Valentin Hansen, welches nur aus 29
Sekunden langen Tracks besteht. Also ein Album mit dem trotz hoher Hörerschaft kein Geld
verdient werden kann. Solche Projekte werfen alle auch die Frage nach dem Wert der Musik
auf sowohl ökonomisch in Form von Aufrufen und Likes aber auch der ästhetisch-kulturelle
Wert.

Selbstreflexion:

Unter dem Punkt der Selbstreflexion wurde ein Blick auf die eigene Arbeit und Interaktion
mit dem Medium Musik geworfen. Zum Beispiel die Frage danach, wie viel Information aus
einem wissenschaftlich untersuchten Kommentar gezogen werden kann, da sich oft die
wahren Absichten der Verfasser*innen hinter den Nicknames verbirgt.
Im Punkte der Interaktion hat uns besonders die Idee interessiert, dass in unserer
Wahrnehmung von Musik Raum und Zeit verschwinden. Durch Livestream können wir
Konzerten jederzeit und überall beiwohnen und jegliche räumliche Distanz überschreiten.
Durch die Verfügbarkeit von Musik aus allen Epochen können wir auch zeitliche Räume
überbrücken. Zudem leben Künstler*innen auch lange nach ihrem Tod noch weiter. In Form
von Samples oder ungenutzten Audioaufnahmen werden weiterhin Songs mit den Namen
der Künstler*innen veröffentlicht. Aber auch live leben die Künstler*innen weiter in Form
von Hologrammen, die auf der Bühne performen wie bei Michael Jackson und 2Pac. Dieses
Panel wurde von Wolfgang Fuhrmann, Patrick Becker-Naydenov und Benjamin Sturm
repräsentiert.

Intermedialität:

Zu diesem Panel trugen Tal Soker, Elisabeth van Treeck, Ruirui Ye und Roman Duffner ihre
Vorträge vor. Unsere Erwartungen an diesen Themenbereich wurden auch erfüllt.
Musiker*innen produzieren mittlerweile nicht nur Musik, sondern vermarkten sich selbst als
eigene Marke. Sie zeigen sich nicht nur auf der Bühne als absolute Ikone, sondern auch
Abseits in ihrem Privatleben. Dieses stellen sie durch Social Media Plattformen wie
Instagram und TikTok dar. Auch hier benutzen sie die Livestream Funktion, um Konzerte
oder gar private Auftritte zu veröffentlichen. Dabei spielt das „wie“ bei der Aufnahme oft
keine Rolle, sodass kurzerhand das Smartphone als Aufnahmeequipment verwendet wird.
Die Präsenz in den Sozialen Medien hängt meistens unmittelbar mit dem Musiker*innen
zusammen. Teilweise geraten die Musik und das musikalische Schaffen oft in den
Hintergrund.

Im Großen und Ganzen war die Tagung anstrengend, aber auch eine wertvolle Erfahrung, die
wir gesammelt haben. Durch die lockere und entspannte Haltung aller Beteiligten war es für
uns umso einfacher sich dem hinzugeben. Anstrengend wurde es natürlich, wenn wir
kleinere Pausen nicht einhalten konnten, um nicht komplett aus dem Zeitplan zu fallen.
Dafür konnte man mit den Referent*innen in den Pausen sprechen und Diskussionen führen.
Im gesamten fühlte es sich wie ein längeres Seminar oder eine Vorlesung an, also machte es
keinen großen Unterschied zu unserem Uni Alltag.

In unserem nächsten Blog werden wir die Tagung noch einmal resümieren und über unsere
jeweiligen persönlichen Eindrücke schreiben. Bis zum nächsten Mal!

Eure Blogger

Hagen Weiss, Chiara Roma, Moritz Groth