Lebenswelt neu gedacht: Ansätze und Konzepte zur Rekonstruktion antiker Lebenswelten von augusteischer Zeit bis in die Spätantike

In dem gemeinsam von JProf. Dr. Veronika Egetenmeyr (Koblenz) und Prof. Dr. Susanne Froehlich (TU Darmstadt) initiierten und organisierten Tagungsprojekt wurde aus unterschiedlichen altertumswissenschaftlichen Perspektiven der Frage nach der Anwendbarkeit des auf Husserl zurückgehenden Lebensweltbegriffs nachgegangen.

Ziel der Tagung war es, gemeinschaftlich ein Konzept zu entwickeln, das auf die modernen Forschungsfragen der Altertumswissenschaften anwendbar ist.

Die Tagung wurde großzügig vom Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald gefördert. Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Sammelband veröffentlich, der momentan in Vorbereitung ist.

Lebenswelt neu gedacht - Was heißt das?

Ein Begriff, der uns bei der Beschäftigung mit der antiken Welt immer wieder begegnet, ist „Lebenswelt“. Sehr oft wird der deutsche Begriff Lebenswelt als Synonym für Alltagswelt verwendet oder gerne mit dem Begriff Umwelt gleichgesetzt. Dies gilt nicht nur für die deutschsprachige Forschungsliteratur, sondern auch für die englische Übersetzung des Begriffs (z.B. „lifeworld“ wird in der Forschung für Alltagswelten verwendet). Obwohl der Begriff also in der altertumswissenschaftlichen Forschung häufig verwendet wird, scheint seine philosophische Bedeutung, genauer gesagt die transzendentale Bedeutung und der phänomenologische Aspekt der Lebenswelt, wie sie von Edmund Husserl formuliert wurden, oft ignoriert zu werden. Vielmehr ist der pragmatische Aspekt, wie er von Alfred Schütz und seinem Schüler Thomas Luckmann in die moderne Soziologie eingeführt wurde, in der Geschichtswissenschaft auf fruchtbaren Boden gefallen und scheint aus praxeologischer Sicht geeignet, Alltagswelt und Lebenswelt gleichzusetzen.

Nach eingehender Lektüre der historischen Arbeiten von Rudolf Vierhaus und der althistorischen Forschungen von Claudia Itgenshorst waren wir, die Organisatorinnen der Tagung, der Meinung, dass es nicht ausreicht, Lebenswelt mit Alltagswelt gleichzusetzen, sondern dass eine intensivere Beschäftigung mit dem Begriff aus philosophischer Perspektive auch neue Perspektiven auf die Vergangenheit eröffnen kann. Ziel der Tagung war es daher, den Begriff der Lebenswelt für die Altertumswissenschaften zu überdenken und neu zu verhandeln.

Ausgehend von Edmund Husserl verorteten wir unsere Tagung in einem phänomenologischen Zugang zu antiken Lebenswelten. Dies bot nicht nur die Chance, den Begriff selbst neu zu denken, sondern auch neue Zugänge zur Rekonstruktion der Vergangenheit zu finden. Deshalb verfolgten wir mit unserer Tagung einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur versucht, jedes Phänomen für sich vorurteilsfrei zu verstehen, sondern die Phänomene immer im Zusammenhang mit benachbarten Phänomenen zu betrachten. Es geht darum, sie auf ihre apriorischen Bedingungen in der Lebenswelt zurückzuführen. Wir vertreten die Hypothese, dass wir auf diese Weise "zwischen den Zeilen" lesen und vielleicht etwas entdecken können, was uns bisher verborgen geblieben ist. Gerade wegen des ganzheitlichen Charakters der Phänomenologie wollen wir die Lebenswelt als umfassendes Konzept für die Erforschung der Vergangenheit neu denken.

Den Tagungsbericht zur Veranstaltung finden Sie hier auf H-Soz-Kult.